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Leserbriefe

Mittwoch, 20.01.2010



Bosnischer Akademischer Kreis e.V. schrieb:
Pressemitteilung 4.1.2010

Der Bosnisch Akademische Kreis (BAK e.V.) mit Sitz in München ist nicht überrascht über die tendenziöse Berichterstattung im Artikel von Herrn
Walter Mayr mit dem Titel "Metropole der Minarette" vom 24.12.2009 bei Spiegel Online. Seit den schrecklichen Terroranschlägen vom 11. September ist mittlerweile eine Tendenz in manchen Medien erkennbar, welche die Muslime und den Islam hauptsächlich in einem schlechten Licht darstellen. So drückt sich dem Leser des erwähnten Artikels das Bild auf, als würde durch notwendige Erneuerung der zerstörten Moscheen und islamischen Einrichtungen in Bosnien etwas "unheimliches" und für Europa "gefährliches" entstehen.
Im Namen des Bosnisch Akademischen Kreises wehren wir uns gegen diese Art und Weise der Berichterstattung, da dadurch wir in der Bundesrepublik lebenden Bosniaken maßgeblich in den Augen unserer Nachbarn und Berufskollegen diskreditiert werden und die unbegründeten Sorgen, das Misstrauen und die Unruhe, sowohl in unser Leben als auch in die deutsche Öffentlichkeit getragen werden.
In diesem Sinne und mit dem Wunsch der deutschen bzw. deutschsprachigen Öffentlichkeit eine genauere Berichterstattung über die neuesten "architektonischen" Leistungen im kriegszerstörten Bosnien hervorzuheben, sehen wir uns gezwungen, unsere Sicht der Dinge darzulegen.

Offensichtlich ist es Herrn Mayr in seiner Recherche entgangen, dass zu Titos sozialistischen Zeiten alle Religionsgemeinschaften enorme Schwierigkeiten in der Errichtung von Gotteshäusern hatten und von 1945 bis zum Jahre 1990 von Seiten der kommunistischen Führung - in Bezug auf die islamischen Gebetshäuser - nahezu keine Genehmigungen ausgegeben wurden, um Moscheen zu errichten. Ähnlich ist es auch den katholischen und orthodoxen Bauanträgen ergangen, da man die Meinung vertrat, Religion sei Opium für das Volk und alles Religiöse im öffentlichen Raum nicht gern gesehen wurde. Da sich der Autor aber offensichtlich nur für die Moscheebauten interessiert, und für die neu errichteten kroatisch-katholischen und serbisch-orthodoxen Kirchen, Kathedralen und gigantische Kruzifixe wenig Interesse zeigt, möchten wir nur kurz auf einige Tatsachen hinweisen.

Aus für uns einem unerklärlichen Grund ist es Herrn Mayr entgangen, dass während des brutalen Aggressionskrieges in Bosnien und Herzegowina im Rahmen des Kulturozids von Seiten der bosnisch-serbischen und bosnisch-kroatischen Einheiten in der Zeit von 1992 - 1995 insgesamt 614 muslimische religiöse Objekte zerstört oder beschädigt wurden. Somit ist der Wiederaufbau zerstörter Moscheen oder die Restauration beschädigter Moscheen kein besonderes Signal dafür, dass hier eine enorme religiöse Rückbesinnung oder strategisch geplante Islamisierung bei der Bevölkerung zu verzeichnen ist.

Die Objekte im Sarajevoer Stadtteil Novi Grad (Neustadt), hierbei primär die mittlerweile sagenumwobene König Fahd-Moschee, die im Artikel als Vorzeigebeispiel für den saudi-arabischen Wahabismus gelten soll, als auch zwei weitere Moscheen im Stadtteil Otoka und Dobrinja, sind nur das Ergebnis des Sinnbildes der von Tito geführten Politik, dass man keine Genehmigungen für Moschee ausstellen sollte. Da der Sarajevoer Stadtteil Novi Grad der bevölkerungsreichste Bezirk in Bosnien und Herzegowina ist (ca. 130.000 Einwohner) und die wenigen alten und kleinen Holzmoscheen in diesem Bezirk nicht genügend Menschen aufnehmen konnten, ist es nur logisch, dass hier neue Objekte entstanden, um einzig und allein die religiösen Bedürfnisse der Muslime in diesem Bezirk zu stillen.

Das Saudi-Arabien sich bereit erklärte viele der zerstörten und beschädigten Moscheen aufzubauen, ist sicherlich für uns Bosniaken eine Hilfe eines befreundeten Volkes. Eine solche freundliche Geste zum Wiederaufbau der muslimischen religiösen Objekte bzw. ihre finanzielle Unterstützung aus Brüssel, Washington oder Paris wäre sicherlich mit einer ebenfalls großen Freude und tiefer Dankbarkeit seitens der Bosniaken begrüßt worden. Die Gründe für die passive Rolle der Europäer in dieser emotionalen Frage sind aus unserer Sicht begründet, denn in Bosnien und Herzegowina leben auch andere Ethnien und Religionsgemeinschaften und die westeuropäischen Staaten sind aufgrund ihrer Vermittlerrolle zu Neutralität verpflichtet.

Hervorzuheben sind aber hierbei die Mittel der deutschen Bundesregierung im Rahmen der Kulturerhaltung in Bosnien und Herzegowina, wo man mit Mitteln des Auswärtigen Amtes eine Moschee in der Herzegowina wiederaufgebaut hat und man am Aufbau der komplett zerstörten Ferhadija-Moschee in Banja Luka beteiligt ist, was seitens des BAK e.V. mit großer Dankbarkeit wahrgenommen wird. Bezüglich des kostenlosen edukativen Angebots im Rahmen von Sprach- und Computerkursen von Seiten der saudischen Botschaft in Bosnien und Herzegowina würde es der Bosnisch Akademische Kreis begrüßen und unterstützen, wenn andere Auslandsvertretungen ebenso kostenlose Sprach- und Fortbildungskurse anbieten würden, um ihren Beitrag bei der Fortbildung der Bosniaken und anderen Teilen der bosnisch-herzegowinischen Gesellschaft zu leisten.

Wünschenswert wäre es eine Analyse zu erstellen, inwieweit die gespendeten Summen für die Moscheebauten in Bezug zu setzen wären mit der Effektivität der saudi-arabischen Missionierungsversuche der bosnisch-herzegowinischen Muslime. Trotz dieser und anderer finanzieller Unterstützungen von außen sind die Muslime Bosnien und Herzegowinas "europäisch" geblieben.
Ein prägnantes Beispiel:
Sowohl während der Zeit des Krieges als auch danach, gab es, Gott sei dank, keinen einzigen Selbstmordanschlag in Zagreb, Belgrad oder Sarajevo von Seiten muslimisch religiös-motivierter Terroristen. Die wenigen wahabitischen bzw. salafitisch orientierten Muslime in Bosnien stellen in dem Meer der traditionell-ausgerichteten Muslime in Bosnien eine verschwindend geringe Minderheit dar, so dass man vielerorts zu dem Schluss kommen kann, dass der Versuch einer Missionierung der Muslime Bosniens gescheitert ist. Um einen Schritt weiter zu gehen: die religiöse Vielfalt, Toleranz und Freiheit unter den bosnischen Muslimen würde sogar so weit gehen, dass im Fall einer Volksabstimmung gegen den Bau von Kirchtürmen in Bosnien und Herzegowina die Mehrheit der Bürger des Landes, die muslimisch ist, sich gegen solche Tendenzen aussprechen würde und ein Kirchturmverbot nicht gutheißen würde.